schwere abdominelle Schmerzsymptomatik als schwerwiegende Erkrankung i. S. von § 31 Abs. 6 SGB 5
Der Antragsteller begehrt von der Antragsgegnerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Kostenübernahme für eine Behandlung mit Dronabinol.
Der Antragsteller (geb. 2000) leidet an einem chronischen schweren abdominellen Schmerzsyndrom bei Hypogangliose des Colons. Nach Sicherung der Diagnose erfolgte im März 2017 eine Colonteilresektion und -stomaanlage. Die bis dahin erfolgte Behandlung mit Opiaten (300 mg Palexia) konnte danach stufenweise abgesetzt werden. Seit 2018 bestanden zusätzlich schwere Muskel- und Gelenkbeschwerden sowie Rückenschmerzen i.V.m. schweren chronischen Schlafstörungen, die zu erneuten Schmerzbehandlung (150 mg Tramadol) führten. Die Schule brach der Antragsteller erkrankungsbedingt in der achten Klasse ab. Am 10.09.2018 beantragte Dr. med. C. (Facharzt für Allgemeinmedizin, Psychotherapie) für den Antragsteller bei der Antragsgegnerin Genehmigung einer Behandlung mit Cannabinoiden in Form von Dronabinol mit dem Ziel der Besserung der Schmerzen, des Appetits und des Schlafs. Mit Bescheid vom 24.09.2018 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab. Aus den eingereichten Unterlagen gehe nicht hervor, dass die Voraussetzungen des § 31 Abs. 6 SGB V erfüllt seien.
Dem am 08.10.2018 erhobenen Widerspruch fügte der Antragsteller eine ärztliche Stellungnahme von Dr. med. C. vom 04.10.2018 bei. Er verwies auf schwere Schmerzzustände infolge der Darmmotilitätsstörung, eines Rückenleidens und einer schweren Zahnerkrankung. Die eingeleitete Schmerztherapie habe letztlich zur Opioid-Abhängigkeit geführt. Behandlungsversuche mit Antidepressiva seien nicht vertragen worden oder hätten keine ausreichende Wirkung gehabt. Die weiterhin bestehenden ausgeprägten Zustände innerer Unruhe und Schlafstörungen seien ebenfalls ohne durchgreifenden Erfolg mit den verfügbaren Medikamenten behandelt worden. Der Patient leide an fast permanenter Schlaflosigkeit, innerer Unruhe, ständigen Schmerzen und habe inzwischen ein bedrohliches Untergewicht entwickelt. Ziel der Behandlung mit Dronabinol sei eine Reduktion der Schmerzen, die Besserung der schweren Schlafstörungen, der inneren Unruhe und der permanenten Übelkeit, die zu dem Untergewicht geführt habe. Geplant sei eine Dosierung mit 2 x 1 Tropfen auf max. 32 Tropfen pro Tag. Die Wirkung könne erst im Zuge des Behandlungsversuchs beurteilt werden.
Mit Stellungnahme vom 23.10.2018 kam der Sozialmedizinischen Dienstes (SMD) durch Frau D. (Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie) zu dem Ergebnis, dass die Therapie mit Dronabinol nicht befürwortet werden könne. Durch die Erkrankung sei die Lebensqualität zwar auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt. Cannabis sei jedoch kontraindiziert bei erheblichen psychiatrischen Störungen. Aktenkundig seien eine Angststörung, eine artifizielle Störung, eine Opiatabhängigkeit eine Polytoxikomanie sowie einer Anorexia nervosa. Die Gefahr einer Abhängigkeit von Cannabis bestehe bei bereits vorliegender Suchterkrankung. Als dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen stünden eine multimodale stationäre Schmerztherapie und Psychotherapie zur Verfügung. Eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf wurde ebenfalls verneint. Den Widerspruch wies die Antragsgegnerin unter Verweis hierauf mit Widerspruchsbescheid vom 16.11.2018 zurück.
Am 13.12.2018 hat der Antragsteller Klage zu dem Sozialgericht Gießen erhoben (Az.: S 7 KR 1481/18) und dort am 18.03.2019 um einstweiligen Rechtsschutz nachgesucht. Sein Gesundheitszustand verschlechtere sich durch die Opiateinnahme und den damit verbundenen erheblichen Gewichtsverlust rapide. Es lägen folgende Erkrankungen vor:
- chronisches abdominellen Schmerzsyndrom bei Hypogangliose des Colons, Ileostoma seit 2016
- chronisches Wirbelsäulenschmerzsyndrom, Skoliose
- chronische Insomnie
- chronischer Opiat-Übergebrauch
- massive Unterernährung und Muskelatrophie und Kachexie
Er habe seit seinem 14. Lebensjahr hochdosierte Opiate erhalten. Die hierdurch entwickelte Abhängigkeit und ihre Nebenwirkungen gelte es durch das mildere Mittel einer Behandlung mit Cannabis zu beseitigen. Er leide seit seiner Kindheit unter ausgeprägten schmerzhaften Bauchkrämpfen und chronischer Verstopfung. Folge der Darmerkrankung sei ein stark ausgeprägtes Untergewicht gewesen, so dass er zeitweise über einen Port intravenös habe ernährt werden müssen. Auch nach der Darmoperation im März 2017 bestünden ausgeprägte Schmerzzustände im Bauchbereich. Hinzu kämen chronische Rückenschmerzen aufgrund einer Skoliose sowie intensive Zahnschmerzen bei einem schwer kariösen Gebiss. Er wiege derzeit nur noch 45 kg bei einer Körpergröße von 1,80 m (BMI: 14). Das Untergewicht sei damit lebensbedrohlich. Es sei auf chronische Appetitlosigkeit infolge der Opiode und die Sorge vor erneuten starken Bauchschmerzen zurückzuführen. Eine allgemein anerkannte medizinische Leistung stehe nicht zur Verfügung. Ein Versuch mit Cannabinoiden Ende 2018 habe die Symptomatik gebessert und eine Reduktion der Schmerzmedikation ermöglicht. Der Versuch habe nur mit Mitteln Dritter realisiert werden können. Er und seine alleinerziehende Mutter seien finanziell nicht in der Lage, die Therapie zu finanzieren. Beigefügt war eine Stellungnahme von Dr. med. C. vom 22.02.2019. Opioide störten hiernach die Darmmotilität und hätten die Bauchschmerzen teils verstärkt. Die Entwicklung des erheblichen Untergewichts sei eine Folge von Appetitlosigkeit infolge der Opiodbehandlung. Gegen die von den Gutachtern der Krankenkasse vermutete Anorexia nervosa sprächen der klinische und psychische Befund und der Wunsch des Patienten zuzunehmen. Auch die behandelnden Neurologen und Internisten befürworteten die Therapie. Die verfügbare Schmerztherapie mit Opioiden und zentral wirksamen Schmerzmedikamenten könne nur unter Inkaufnahme erneuter schwerer Nebenwirkungen (insbesondere Untergewicht) durchgeführt werden. Die Therapie mit Cannabinoiden verspreche eine Reduktion der Schmerzen und eine Besserung des Appetits mit dringend erforderlicher Gewichtszunahme sowie die gleichzeitige Besserung der ausgeprägten Schlafstörungen und der hiermit verbundenen inneren Unruhe. Gemäß beigefügtem Befundbericht von Dr. med. E. (Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie, Spezielle Schmerztherapie, Physikalische Medizin, Verkehrsmedizin) vom 03.08.2018 wünscht der Patient einen stationären ganzheitlichen Behandlungsansatz nicht, sondern eine ambulante Behandlung mit Cannabis. Dies wird befürwortet. Zusätzlich wurde zur Schmerzdistanzierung und Anstoß des Schlafes Amitryptilin verordnet (zunächst 10 mg, zu steigern bis 75 mg). Beigefügt war weiter ein Befundbericht von Herrn F. (Facharzt für Neurologie und Psychiatrie) vom 18.12.2018. Er berichtet von der Entwicklung einer Opiatabhängigkeit durch eine etwas „unreflektiert“ durchgeführte Schmerztherapie und die Entwicklung einer extremen Kachexie durch die damit zusammenhängende Übelkeit. Empfohlen wird die Etablierung einer strukturierten Schmerztherapie unter Gabe von Amitryptilin und erforderlichenfalls Duloxetin unter begleitendem Ausschleichen der Opiate. Sollte dies nicht ausreichend sein, sei ähnlich wie bei einer Tumorkachexie mit Cannabinoiden zu behandeln. Anzeichen für eine Polyneuropathie sei nicht erkennbar.
Der Antragsteller beantragt (sinngemäß),
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, vorläufig die Kosten des Antragstellers für eine Therapie mit Dronabinol zu übernehmen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Die Antragsgegnerin verweist auf den Inhalt der angegriffenen Bescheide.
Eine Aufstellung der seit 2014 verordneten Schmerzmedikamente konnte die Antragsgegnerin nicht vorlegen. Diese Daten zu speichern, sei ihr datenschutzrechtlich verboten. Das Gericht hat Befundberichte angefordert. Dres. G. und Kollegen (Orthopädie) berichten über eine schwere Skoliose, muskuläre Insuffizienz und einen gürtelförmigen Thoraxschmerz mit Ausstrahlung in die Schulterblätter. Dr. med. E. verwies auf die Frage, ob sie eine Behandlung mit Dronabinol für erforderlich halte auf mangelnde Erfahrung mit dem Krankheitsbild. Der Patient habe sich einmalig am 03.08.2018 vorgestellt.
Herr F. berichtete von einer massiven Unterernährung, einer Muskelatrophie und einer Kachexie. Behandlungsbedürftig seien die Hypogangliose, die chronischen Schmerzen und die ausgeprägte Kachexie. Dronabinol wirke gut schmerzlindernd bei geringen gastrointestinalen Nebenwirkungen. Der Appetit werde gesteigert und die Darmpassage nicht beeinflusst. Der Patient habe bisher Amitryptilin (25 mg) und Tramadol (100 mg) erhalten. Durchgeführte und noch anwendbare Therapien seien bei dem therapieführenden Gastroentorologen zu ermitteln. Für eine Abwägung der Vor- und Nachteile sei er mit dem Krankheitsbild nicht vertraut genug. Angesichts des erfreulich positiven Effekts (Minderung der kolikartigen Schmerzen) befürworte der jedoch die relativ nebenwirkungsarme Therapie. Cannabis wirke bei chronischen Tumorschmerzen und chronisch gastrointestinalen Schmerzen. Dies sei auf den Patienten übertragbar.
Dr. med. C. stellte zuletzt einen lebensbedrohlichen BMI von 15 fest (47 kg bei 180 cm). Behandlungsauftrag sei das schrittweise Absetzen der analgetischen Medikation gewesen. Die hochdosierte Einnahme von Opioden habe zu Untergewicht, Appetitlosigkeit und depressiven Symptomen geführt. Im Frühsommer 2018 hätten die Opiode abgesetzt werden können. Einige Monate später habe der behandelnde Orthopäde wegen schwerer Rückenschmerzen eine erneute Opiodtherapie initiiert. Ab einem BMI von 17 werde regelmäßig eine stationäre Aufnahme zur Gewichtszunahme empfohlen, der Patient lehne dies jedoch ab. Empfohlen worden sei Dronabinol von Herrn F. und Dr. med. E. zur Behandlung des Schmerzen und des Untergewichts. Das Absetzen der zwischenzeitlich hochdosierten Opiode erweise sich als sehr schwierig. Unter Rückdosierung komme zu massiver innerer Unruhe und Schlafstörungen und zur Zunahme der Schmerzen. Das deshalb zusätzlich eingesetzte Amitriptylin sei nicht vertragen und vom Patienten selbst abgesetzt worden. Ferner eingesetzt worden ohne erheblichen Effekt seien Mirtazapin (antidepressiv, derzeit 30 mg) und Pregabalin (2 x 75 mg bis 2 x 150 mg), Celebrex, Diclofenac, lbuprofen, Paracetamol und Novaminsulfon (zur Schmerzlinderung) sowie Promethazin und kurzzeitig Benzodiazepine (gegen innere Unruhe). Trimipramin (50 mg), Pipamperonsaft (3 x 5 ml) und Doxepin (25 mg) hätten ebenfalls keine oder nur geringe Effekte gehabt. Von weiteren pharmakologischen Behandlungsversuchen sei kein nennenswerter Effekt zu erwarten. Wegen der Skoliose erhalte der Patient Krankengymnastik. Seit 2019 werde eine ambulante Psychotherapie durchgeführt. Empfohlene Standardbehandlung sei eine stationäre Schmerztherapie bzw. eine vorhergehende stationäre Entzugstherapie von Opioiden oder langfristige Substitutionsbehandlung (Methadon oder Buprenorphin). Dies lehne der Patient ab und äußere Suizidabsichten im Falle einer erzwungenen Behandlung. Unter Dronabinol habe er eine erhebliche Besserung seiner Unruhe und eine leichte Gewichtszunahme und Appetitsteigerung erfahren. Es habe leichter die Analgetika reduzieren können und wieder teilnahmefähiger gewirkt. Unter Berücksichtigung der relativ geringen Nebenwirkungen halte er einen Behandlungsversuch für indiziert, zumal andere Therapieoptionen praktisch nicht bestünden. Der Therapieversuch über eine längere Zeit mit Dronabinol sei sinnvoll und in begrenztem Maße auch aussichtsreich. Die Anfangsdosierung betrage 2,5 mg (maximale Tagesdosis: 50 mg oder auch mehr). Eine positive Einwirkung auf das Krankheitsbild ist zu erwarten. Die deutlich appetitsteigernde Wirkung ermögliche die unbedingt erforderliche Gewichtszunahme. Auch die Schmerzmittel seien unter Gabe von Dronabinol leichter zu reduzieren. Kontraindikationen seien in Anbetracht der schweren Grundkrankheit und der Aussichtslosigkeit sonstiger Behandlungsversuche nicht erkennbar.
Privatdozent Dr. med. H. (Internist, Gastroenterologe) gab an, den Antragsteller langjährig (teils als Chefarzt der Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie am Klinikum Bad Hersfeld) zu behandeln. Der Antragsteller leide an einer seltenen Hypogangliose des Darmes, die schwere Bewegungsstörungen verursache, weshalb ein künstlicher Darmausgang gelegt worden sei, der die Beschwerden beseitige. Nach der mehrjährig verlaufenden Krankheit habe sich eine Opiatabhängigkeit und eine Unterernährung entwickelt. Ob im weiteren Verlauf Dronabinol wirklich unverzichtbar sei, könne er mangels Erfahrung mit der Substanz nicht beurteilen. Ansprechpartner sei Dr. med. C., der die Entwöhnungsbehandlung leite. Eine Psychotherapie habe er empfohlen.
Mit weiterer Stellungnahme vom 22.05.2019 blieb der SMD bei seiner Ablehnung. Nach den Befundberichten bestehe die Option einer stationären Schmerztherapie (ggf. in Kombination mit einer Entzugs- bzw. Substitutionstherapie). Es bestehe ein psychisch labiler Zustand als Kontraindikation. Der Antragsteller habe von schlimmen Erfahrungen bis zur Zwangseinweisung berichtet. Behandlungsunterlagen fehlten allerdings.
Der Antragsteller verweist auf ungewisse Erfolgsaussichten Monate dauernder stationärer Maßnahmen. Es bedürfe einer kurzfristigen Lösung. Durch die Opiatgabe träten ständig Übelkeit und Erbrechen auf. Gleichzeitig bestünden erheblichste Schmerzen und massive Erschöpfung infolge von Schlaflosigkeit. Er ziehe sich zunehmend zurück und verliere an Gewicht. Längerfristige stationäre Maßnahmen seien zudem kontraindiziert wegen seiner aus der Behandlungsgeschichte resultierenden Angst vor Kliniken. Diese würden keine Genesung herbeiführen, sondern den psychischen Zustand verschlechtern. Dronabinol biete die Möglichkeit, die Opiate auszuschleichen, Übelkeit und Erbrechen zu reduzieren und Gewicht und Allgemeinzustand zu stabilisieren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Inhalte der Verwaltungsakte der Antragsgegnerin sowie der Gerichtsakte verwiesen, die Gegenstand dieser Entscheidung gewesen sind. II.
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Nach § 86 b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Eine solche ist nur begründet, wenn ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund vorliegen. Ein Anordnungsanspruch ist gegeben, wenn der zu sichernde Anspruch dem Antragsteller mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zusteht. Ein Anordnungsgrund liegt vor, wenn die einstweilige Regelung zur Abwendung eines wesentlichen Nachteils nötig erscheint.
Anordnungsanspruch und -grund stehen in Wechselbeziehung derart, dass die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit bzw. Schwere des drohenden Nachteils (Anordnungsgrund) zu verringern sind und umgekehrt (Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 17. Auflage, § 86b Rn. 27 ff. m.w.N.). Ist die Klage in der Hauptsache offensichtlich unzulässig oder unbegründet, ist der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ohne Rücksicht auf den Anordnungsgrund grundsätzlich abzulehnen, weil ein schützenswertes Recht nicht vorhanden ist. Ist die Klage in der Hauptsache dagegen offensichtlich begründet, so vermindern sich die Anforderungen an einen Anordnungsgrund. In der Regel ist dann dem Antrag stattzugeben, auch wenn in diesem Fall nicht gänzlich auf einen Anordnungsgrund verzichtet werden kann. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens – wenn etwa eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage im Eilverfahren nicht möglich ist – ist im Wege einer Folgenabwägung zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die grundrechtlichen Belange der Antragssteller umfassend in die Abwägung einzustellen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts müssen sich die Gerichte schützend und fördernd vor die Grundrechte des Einzelnen stellen (vgl. BVerfG, 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 –, juris).
Sowohl Anordnungsanspruch als auch Anordnungsgrund sind gemäß § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung (ZPO) i.V.m. § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG glaubhaft zu machen.
Ein Anordnungsanspruch ist nicht glaubhaft gemacht. Das Bestehen eines Anspruchs in der Hauptsache kann nach der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden.
Nach § 31 Abs. 6 Satz 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – Gesetzliche Krankenversicherung – (SGB V) haben Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung u.a. Anspruch auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn
1. eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung
a) nicht zur Verfügung steht oder
b) im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann
2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht.
Die Leistung bedarf bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen Versicherten der nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist (§ 31 Abs. 6 Satz 2 SGB V). Wird die Leistung nach § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB V im Rahmen der Versorgung nach § 37b SGB V (Spezialisierte ambulante Palliativversorgung) vertragsärztlich verordnet, ist über den Antrag auf Genehmigung abweichend von § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V innerhalb von drei Tagen nach Antragseingang zu entscheiden (§ 31 Abs. 6 Satz 3 SGB V).
Auf den am 10.09.2018 bei der Antragsgegnerin eingegangen Antrag war bei Bescheidung am 24.09.2018 noch keine Genehmigungsfiktion wegen Ablaufs der regulären Frist gemäß § 13 Abs. 3a SGB V eingetreten.
Nach summarischer Prüfung ist die beantragte Genehmigung auch nicht gemäß § 31 Abs. 6 Satz 1 und 2 SGB V zu erteilen. Der Antragsteller hat das Vorliegen der Voraussetzungen des § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB V nicht glaubhaft gemacht.
Zwar dürfte vom Vorliegen einer schwerwiegenden Erkrankung auszugehen sein. Schwerwiegend ist eine Erkrankung, wenn sie lebensbedrohlich ist oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt (BSG, Urteil vom 13.12.2016 – B 1 KR 1/16 R –, juris, Rn. 15, Definition der schwerwiegenden Erkrankung im Rahmen des off-label-use). Nach den vorliegenden medizinischen Unterlagen leidet der Antragsteller an einer Hypogangliose, massivem Untergewicht, Rückenschmerzen, erheblichen Schlafstörungen, innerer Unruhe sowie einer Opiodabhängigkeit/-übergebrauch.
Jedoch ist nach summarischer Prüfung weder erkennbar, dass dem anerkannten medizinischen Standard entsprechende Leistungen (objektiv) nicht mehr verfügbar sind (§ 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1a SGB V) noch dass zumindest nach begründeter vertragsärztlicher Einschätzung im Einzelfall unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes des Versicherten allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen nicht zur Anwendung kommen können (§ 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1b SGB V).
Ein Ausgangspunkt für die Behandlung mit Dronabinol sind nach Angaben von Dr. med. C. Schmerzzustände infolge einer Darmmotilitätsstörung (Hypogangliose) und eines Rückenleidens. Die Hypogangliose wurde im März 2017 durch eine Teilresektion des Darms und Stoma-Anlage zumindest soweit erfolgreich behandelt, dass die bis dahin zur Schmerzlinderung durchgeführte Opiattherapie schrittweise bis zum Frühsommer 2018 abgesetzt werden konnte (Befundbericht von Dr. med. C. vom 24.04.2019, Bl. 55 ff. der Gerichtsakte). Eine erneute Opiodtherapie wurde seitens des Orthopäden einige Monate später wegen Rückenschmerzen bei bestehender schwerer Skoliose und muskulärer Insuffizienz eingeleitet. Das genaue Schmerzbild und diesbezügliche Behandlungsmöglichkeiten sind unklar. Die Schmerztherapie mit Opiaten verursachte gastrointestinale Nebenwirkungen wie Appetitlosigkeit und ggf. negativen Auswirkungen auf die Darmmotilität; inzwischen schildert der Antragsteller auch Übelkeit und Erbrechen bei Einnahme von Opioiden. Infolgedessen hat sich ein massives Untergewicht mit einem potentiell lebensbedrohlichen BMI von derzeit 14 bzw. 15 entwickelt. Die eingeleitete Schmerztherapie hat zudem zu einer Opioid-Abhängigkeit geführt. Beim Versuch des Absetzens bzw. der Reduktion traten massive Schlafstörungen und innere Unruhe auf. Gleichzeitig kommt es zu vermehrten Schmerzen. Es kam eine Reihe von Psychopharmaka und schmerzlindernden Medikamenten ohne durchgreifenden Erfolg zur Anwendung (Mirtazapin, Pregabalin, Celebrex, Diclofenac, lbuprofen, Paracetamol und Novaminsulfon, Promethazin, Trimipramin, Pipamperonsaft, Doxepin). Das von Dr. med. E. verordnete Amitryptilin hat der Antragsteller selbständig abgesetzt wegen nicht näher bezeichneter Unverträglichkeiten (Befundbericht von Dr. med. C. vom 24.04.2019, Bl. 55 ff. der Gerichtsakte). Im Vordergrund stehen damit ein massives Untergewicht, Schmerzen infolge einer Skoliose und einer Darmerkrankung sowie eine Opiodabhängigkeit, die nebenwirkungsbedingt das Untergewicht weiter begünstigt. Dr. med. E. (Neurologie, Psychiatrie, Psychotherapie und Schmerztherapie) befürwortet in dem Bericht vom 03.08.2018 in erster Linie einen stationären ganzheitlichen Ansatz (Bl. 14 der Gerichtsakte). Dies entspricht der in der Stellungnahme des SMD vom 23.10.2018 vorgeschlagenen multimodalen stationären Schmerztherapie als anerkannte Therapiemaßnahme. Eine stationäre Schmerztherapie (ggf. in Verbindung mit einer Entzugs- bzw. Substitutionstherapie) ist auch aus Sicht von Dr. med. C. die zu empfehlende Standardbehandlung (Bl. 57 der Gerichtsakte). Damit bietet sich hinsichtlich der Schmerzproblematik nach summarischer Prüfung eine anerkannte medizinische Therapie im Sinne von § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1a SGB V, die der Antragsteller noch nicht ausgeschöpft hat. Herr F. verweist in seinem Befundbericht vom 18.12.2018 (Bl. 15 f. der Gerichtsakte) auf die etwas „unreflektiert“ durchgeführte Schmerztherapie mit Opioden und die Notwendigkeit, eine strukturierte Schmerztherapie zu etablieren. Empfohlen wird eine gleichzeitig appetitsteigernde Behandlung mit Amitryptilin und für den Fall nicht ausreichender Wirksamkeit die Gabe von Duloxetin; erst als letztes Mittel sieht er eine Behandlung mit Cannabinoiden ähnlich wie bei Patienten mit einer Tumorkachexie. Dass ein solcher vorrangiger Behandlungsversuch konsequent erfolgt wäre, ist nicht ersichtlich. Das Medikament Amitryptilin hat der Antragsteller nach Angaben von Dr. C. selbsttätig abgesetzt, weil er es nicht vertragen habe; näheres hierzu ist nicht bekannt. Ein Versuch mit Duloxetin ist nicht aktenkundig. Vor diesem Hintergrund vermag die Kammer auch nicht der Argumentation des Antragstellers zu folgen, dass eine Behandlung mit Cannabinoiden (hier: Dronabinol) einzig verfügbare Alternative zu den offensichtlich ungeeigneten Opiaten seien.
Bezüglich des massiven, potentiell lebensbedrohlichen Untergewichts hat Dr. med. C. in seinem Befundbericht vom 24.04.2019 deutlich gemacht, dass nach anerkannten medizinischen Maßstäben ab einem BMI von 17 eine stationäre Aufnahme zur Gewichtszunahme anzustreben sei zwecks Gewichtszunahme (Bl. 56 der Gerichtsakte).
Unabhängig davon ist derzeit nicht geklärt, ob die beantragte Therapie eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome hat (§ 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 SGB V). Die fehlende Glaubhaftmachung dieser Voraussetzung geht zu Lasten des Antragstellers. Nicht ausreichend sind bloße subjektive positive Erfahrungen und eine hierauf gestützte ärztliche Empfehlung. Es bedarf vielmehr eines Anhalts für allgemeine Wirksamkeitsindizien (Mindestevidenz). Als Beurteilungsgrundlage kommen wenn höherwertige Studien fehlen auch Assoziationsbeobachtungen, pathophysiologische Überlegungen, deskriptive Darstellungen, Einzelfallberichte, nicht mit Studien belegte Meinungen anerkannter Experten, Berichte von Expertenkomitees und Konsensuskonferenzen in Betracht (Hessisches LSG, Beschluss vom 20.02.2018 - L 8 KR 445/17 B ER –, juris, Rn. 16 f.). Konkrete Erkenntnisgrundlagen werden in den eingeholten Befundberichten nicht benannt. Allein Herr F. führt in seinem Befundbericht aus, Cannabis wirke bei chronischen Tumorschmerzen und chronischen gastrointestinalen Schmerzen. Tumorschmerzen liegen aber im Fall des Antragstellers nicht vor. Ergänzend verweist die Kammer auf den im Auftrag der Techniker Krankenkasse (TK) erstellten Cannabis-Report von Prof. Dr. Gerd Glaeske und Dr. Kristin Sauer (abrufbar auf der Homepage der TK), nach dem keine ausreichenden Indizien für eine Wirksamkeit von Cannabinoiden zur Behandlung von Darmerkrankungen gesehen werden (S. 33 und 45 des Cannabis-Reports). Ob und ggf. wegen welcher Indikationen eine Erfolgsaussicht im Sinne des § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 SGB V bestehen könnte, kann bei dieser Sachlage nach Auffassung der Kammer erst sinnvoll im Hauptsacheverfahren geklärt werden.
Nach summarischer Prüfung überwiegt somit derzeit die Wahrscheinlichkeit eines Unterliegens des Antragstellers in der Hauptsache. Es ist nicht ersichtlich, dass bis zur endgültigen Klärung in der Hauptsache eine einstweilige Anordnung erforderlich wäre, zumal nach übereinstimmenden Auffassungen des SMD sowie der behandelnden Ärzte Dr. med. C., Dr. med. E. und Herr F. vorrangig eine (stationäre) multimodale Schmerztherapie zu etablieren wäre. Wegen des Untergewichts ist ebenfalls eine stationäre Aufnahme angezeigt. Einen Therapieversuch mit Dronabinol bezeichnet im Übrigen auch Dr. med. C. nur als begrenzt aussichtsreich.
Der Antrag war daher abzulehnen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und berücksichtigt das vollständige Unterliegen des Antragstellers.
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 4. Juni 2019 aufgehoben und die Antragsgegnerin verpflichtet, den Antragsteller vorläufig bis zum 1. August 2020, längstens jedoch bis zur einer rechtskräftigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren, mit Dronabinol zu versorgen.
Gründe
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Antragsteller mit Dronabinol zu versorgen ist.
Der 2000 geborene und bei der Antragsgegnerin versicherte Antragsteller leidet seit seiner frühen Kindheit unter einem chronischen schweren abdominellen Schmerzsyndrom bei Hypoganglionose des Darmes. Die von PD Dr. C. (ehemals Chefarzt der Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie am Klinikum Bad Hersfeld), in dessen Behandlung sich der Antragsteller viele Jahren befand, diagnostizierte seltene Hypogangliose des Darmes verursacht bei dem Antragsteller massive Bauchkrämpfe und -beschwerden. Im März 2017 erfolgten eine Koloteilresektion sowie eine Kolostoma-Anlage. Aufgrund der schweren Schmerzzustände hatte der Antragsteller bis dahin zahlreiche Analgetika incl. Opioide eingenommen. Es entwickelte sich eine Opiatabhängigkeit und eine Unterernährung. Der Antragsteller leidet an Appetitlosigkeit. Im April 2017 lag der BMI bei 16. Nach der Operation konnte das Opioid langsam rückdosiert und schließlich im Frühsommer 2018 abgesetzt werden. Aufgrund einer schweren Schmerzsymptomatik wegen eines Rückenleidens wurde wenige Monate später durch den behandelnden Orthopäden eine erneute Opioidtherapie eingeleitet.
Der Facharzt für Allgemeinmedizin und Psychotherapie Dr. D. beantragte für den Antragsteller am 10. September 2018 bei der Antragsgegnerin eine Versorgung mit Cannabinoiden. Er verwies auf die Empfehlung von Dr. E. (Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie, Psychotherapie, Spezielle Schmerztherapie, Physikalische Therapie, Verkehrsmedizin am MVZ Hersfeld-Rotenburg), ein Cannabispräparat zur Besserung der Schmerzen, des Appetits und des Schlafs zu versuchen. Ferner führte er aus, dass Dr. F. (Leiterin der Schmerzambulanz des Klinikums Bad Hersfeld) empfohlen habe, mit einer niedrigen Dosis Dronabinol zu beginnen und auszuprobieren, ob eine positive Wirkung auf das schwierige Krankheitsbild des Antragstellers zu erreichen sei.
Mit Schreiben vom 21. September 2018 teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit, dass sie den Sozialmedizinischen Dienst (SMD) mit der Prüfung beauftragt habe.
Mit Bescheid vom 24. September 2018 lehnte die Antragsgegnerin die Kostenübernahme ab. Die Voraussetzungen gemäß § 31 Abs. 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) lägen nicht vor.
Dr. D. widersprach mit Schreiben vom 4. Oktober 2018 und führte aus, dass bei dem Antragsteller eine komplexe organische Erkrankung vorliege, in deren Folge schwere Schmerzzustände aufgetreten seien, die sich auch nach Behandlung der Ursprungserkrankung (Darmmotilitätsstörung) aufgrund hinzutretender Leiden (Rückenleiden, schwere Zahnerkrankung) nicht wesentlich gebessert hätten. Dem allgemeinen medizinischen Standard entsprechend sei eine analgetische Therapie durch den Hausarzt, Fachärzte und die Schmerzambulanz eingeleitet worden. Diese habe letztendlich zur Opioid-Abhängigkeit und zeitweise sogar Verschlechterung der Symptomatik aufgrund der darmmotilitätsstörenden Wirkung der Opioide geführt. Andere analgetische Behandlungsversuche unter anderem mit zentral wirksamen Medikamenten wie Antidepressiva, die typischerweise bei schweren Schmerzzuständen zusätzlich eingesetzt würden, seien entweder nicht vertragen worden oder hätten keine ausreichende Wirkung gehabt. Neben der Schmerzsymptomatik sei es zusätzlich zu ausgeprägten Zuständen innerer Unruhe und Schlafstörungen gekommen, die auch mit dafür zugelassenen und zur Verfügung stehenden Medikamenten behandelt worden seien. Auch hier habe ein durchgreifender Erfolg nicht erreicht werden können. Der Antragsteller habe im Laufe seiner Leidensgeschichte mit fast permanenter Schlaflosigkeit, innere Unruhe, ständige Schmerzen und mittlerweile auch einen bedrohliches Untergewicht entwickelt. Eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung stehe nicht zur Verfügung. Dies sei ihm auch von den mitbehandelnden Fachärzten Dr. E. und Privatdozent Dr. C. bestätigt worden. Die zur Verfügung stehende Schmerztherapie mit Opioiden könne nur unter Inkaufnahme erneuter schwerer Nebenwirkungen und auch Entwicklung von Abhängigkeit durchgeführt werden und solle daher nicht zur Anwendung kommen. Von einer Behandlung mit Dronabinol verspreche er - Dr. D. - sich eine Reduktion der Schmerzen sowie eine Besserung der schweren Schlafstörungen, der großen inneren Unruhe und der permanenten Übelkeit, die zum Untergewicht geführt hätten. Geplant sei eine Behandlung mit Dronabinol-Lösung, die mit drei Mal ein Tropfen pro Tag auf max. 32 Tropfen pro Tag aufdosiert werden könne. Erst im Zuge eines Behandlungsversuches könne eine Wirkung wirklich beurteilt werden.
Mit Schreiben vom 5. Oktober 2018 legte der Antragsteller Widerspruch gegen den Bescheid ein.
In einer nach Aktenlage erstellten Stellungnahme des SMD vom 23. Oktober 2018 (Fragebogen insbesondere mit Ankreuzoptionen) führte die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie G. aus, dass vorliegend der Einsatz von Cannabis kontraindiziert aufgrund der erheblichen psychiatrischen Störungen des Antragstellers sei. Es lägen eine Angststörung (F41.9), eine artifizielle Störung (F68.1), eine Opiatabhängigkeit (F11.2), eine Polytoxikomanie (F19.3) sowie eine Anorexia nervosa (F50.0) vor. Es bestehe die Gefahr einer Abhängigkeit von Cannabis bei bereits vorliegender Suchterkrankung. Mit der multimodalen stationären Schmerztherapie sowie der Psychotherapie stehe eine dem medizinischen Standard entsprechende Leistung zur Verfügung. Eine begründete Einschätzung des behandelnden Arztes, dass eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome bestehe, liege nicht vor.
Unter Verweis auf die Stellungnahme des SMD wies die Antragsgegnerin mit Widerspruchsbescheid vom 16. November 2018 den Widerspruch zurück.
Am 13. Dezember 2018 erhob der Antragsteller Klage vor dem Sozialgericht Gießen (S 7 KR 1481/18).
Am 18. März 2019 hat der Antragsteller vor dem Sozialgericht zudem einen Antrag auf einstweilige Anordnung gestellt. Sein Gesundheitszustand habe sich so deutlich verschlechtert, dass mit einer Unterversorgung zu rechnen sei, die schwerste gesundheitliche Folgen habe. Die Dickdarmteilresektion habe zu einer Aufhebung der peristaltischen Transportleistung des Darmes in diesem Abschnitt mit massiver Verstopfung mit Bauchkrämpfen und schweren Schmerzzuständen geführt. Dies habe ein stark ausgeprägtes Untergewicht bewirkt, so dass der Antragsteller zeitweise über einen Port intravenös habe ernährt werden müssen. Trotz der im März 2017 erfolgten Colon-Teilresektion mit Anlage eines künstlichen Darmausgangs bestünden weiterhin ausgeprägte Schmerzzustände im Bauchbereich. Hinzu seien chronische Rückenschmerzen aufgrund einer Skoliose sowie intensive Zahnschmerzen bei schwer kariösem Gebiss gekommen. Aufgrund der zahlreichen medizinischen Eingriffe habe er eine zunehmende phobische Tendenz gegenüber Ärzten und Medizin entwickelt. Er wiege derzeit bei einer Körpergröße von 180 cm nur noch 45 kg (BMI von 14). Das mittlerweile lebensbedrohliche Untergewicht entstehe einerseits durch chronische Appetitlosigkeit als Folge der Opioide, andererseits aus Sorge um erneut auftretende starke Bauchschmerzen. Ende des Jahres 2018 sei mittels Privatrezept ein Versuch mit Cannabinoiden durchgeführt worden. Dies habe zu einer deutlichen Verbesserung der Symptomatik und zu einer Reduktion der Schmerzmedikation geführt. Leider sei dies nur kurzzeitig der Fall gewesen, da die Finanzierung des Medikaments nur mithilfe von dritten Personen habe erreicht werden können. Er und seine alleinerziehende Mutter könnten die Kosten nicht tragen. Er legte eine entsprechende ärztliche Stellungnahme von Dr. D. vom 22. Februar 2019 vor. Dieser hat darüber hinaus ausgeführt, dass die zur Verfügung stehende Schmerztherapie mit Opioiden und zentralwirksamen Schmerzmedikamenten nur unter Inkaufnahme erneuter schwerer Nebenwirkungen insbesondere Untergewicht durchgeführt werden könne und daher möglichst nicht mehr zur Anwendung kommen sollte. Gemeinsam mit den mitbehandelnden Fachärzten Dr. E., H. und PD Dr. C. sei er der Auffassung, dass eine allgemein anerkannte dem medizinischen Standard entsprechende Leistung zur Zeit nicht zur Verfügung stehe. Von einer Behandlung mit Cannabinoiden würden sie sich hingegen eine Reduktion der Schmerzen sowie eine Besserung des Appetits mit dringend erforderlicher Gewichtszunahme sowie Verbesserung der ausgeprägten Schlafstörungen und der damit verbundenen inneren Unruhe versprechen. Aufgrund des bedrohlichen BMI sei ein schneller Einsatz von helfenden Medikamenten dringend erforderlich. Ab einem BMI von unter 17 werde bei vielen Patienten bereits eine parenterale Ernährung oder Sondenernährung erwogen. Dies könne bei dem Antragsteller trotz des noch liegenden Ports nicht durchgeführt werden, da es im letzten Jahr mehrfach zu septischen Zuständen gekommen sei. Jede Möglichkeit, die den Leidenszustand lindern und die Lebenserwartung des Antragstellers verbessern könne, sollte aus ärztlicher Sicht ganz dringend und unbedingt eingesetzt werden. Dr. E. hat unter dem 3. August 2018 berichtet, dass der Antragsteller seit langem unter starken Schlafstörungen und nächtlicher Unruhe aufgrund der Schmerzen leide. Er laufe stundenlang durch die Wohnung und komme nicht zur Ruhe. Aufgrund der langwierigen Erkrankung habe er (ohne Schulabschluss) die Schule in der achten Klasse abbrechen müssen. Da der Antragsteller einen stationären (ganzheitlichen) Behandlungsansatz nicht wünscht, schlage sie einen ambulanten Behandlungsversuch mit Cannabis vor. Hiermit habe der Antragsteller positive Erfahrungen zur Behandlung seiner Schmerzen gemacht. Bei positivem Verlauf könne ein vollständiger Verzicht auf Opioide gelingen. Zusätzlich habe sie zur schmerzdistanzierenden Therapie wie auch zur Anstoßung des Schlafes Amitriptylin verordnet. Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie H. beschreibt in seinem Befundbericht vom 18. Dezember 2018 eine massive Unterernährung und Muskelatrophie sowie Kachexie (schwere Form der Abmagerung). Ziel der Therapie sollte es sein, eine strukturierte Schmerztherapie zu etablieren. Er versuche den Antragsteller mit Amitriptylin zu behandeln. Darunter sollten sich auch der Appetit und das Gewicht verbessern. Sollte dies nicht ausreichend verträglich sein, könne eine Therapie mit Duloxetin versucht werden. Sollte dies zu keinem akzeptablen Zustand führen, wäre der Antragsteller ähnlich wie bei einer Tumorkachexie mit Cannabinoiden zu behandeln.
Das Sozialgericht hat daraufhin Befundberichte der behandelnden Ärzte eingeholt. Dr. D. hat unter dem 24. April 2019 angegeben, dass die Grunderkrankung und ihre sekundären Folgen aufgrund des schweren Untergewichts von zuletzt 47 Kilo bei einer Größe von 180 cm für den Antragsteller lebensbedrohlich seien. Er sei hierdurch in sämtlichen Alltagsaktivitäten eingeschränkt. Dr. D. hat eingeräumt, dass er nicht beurteilen könne, welche Rolle Drobabinol bei der Behandlung spielen könne, da er selbst wenig Erfahrung damit habe. Dies sei jedoch von Dr. E., dem Facharzt H. und Dr. F. (Leiterin der Schmerzambulanz des Klinikum Bad Hersfeld) empfohlen worden. Entscheidende Nachteile einer Behandlung mit Cannabispräparaten könne er in Anbetracht der schweren Erkrankung des Antragstellers zudem nicht erkennen. Das Krankheitsbild des Antragstellers sei selten und extrem kompliziert verlaufend, so dass es keine einfachen Standards für diese Behandlung gebe. Derzeit werde eine Abdosierung jeglicher Opiode-Schmerzmittel versucht. Dies erweise sich allerdings als sehr schwierig, da der Tramadolol-Konsum zwischenzeitlich hohe Dosen erreicht habe. Unter Rückdosierung komme es einerseits zu massiver innerer Unruhe und Schlafstörungen sowie zur Zunahme der Schmerzen. Daher sei zusätzlich unter anderem Amitriptylin eingesetzt worden. Aufgrund einer Unverträglichkeit habe dies jedoch nicht fortgesetzt werden können. Zusätzlich sei antidepressiv mit Mirtazapin behandelt worden. Zudem seien Pregabalin, Celebrex, Diclofenac, Iboprufen, Paracetamol und Novaminsulfon eingesetzt worden. Diese Medikamente hätten jedoch nur einen geringen Effekt. Dies gelte gleichermaßen für Promethazin und Bromazanil. Neben der medikamentösen Behandlung werde wegen der bestehenden Rückenschmerzen bei Skoliose eine krankengymnastische Behandlung durchgeführt. Zudem werde ambulant psychotherapeutisch behandelt. Von weiteren psychopharmakologischen Behandlungsversuchen sei kein nennenswerter Effekt zu erwarten. Er habe dem Antragsteller immer wieder eine stationäre Schmerztherapie bzw. auch eine vorhergehende stationäre Entzugstherapie von Opioiden empfohlen. Alternativ käme eventuell auch eine langfristige Substitutionsbehandlung mit einem dafür zugelassenen Substitutionspräparat in Frage. Dies lehne der Antragsteller jedoch ab und äußere Suizidabsichten für den Fall einer erzwungenen Behandlung. Dies werde ärztlicherseits ernst genommen. Zudem sei mit einer erzwungenen Entzugstherapie kein dauerhafter Effekt zu erreichen. Durch die Einnahme von Dronabinol habe der Antragsteller eine erhebliche Besserung seiner Unruhe verspürt. Es sei zu einer leichten Gewichtszunahme und Appetitsteigerung gekommen. Auch sei es ihm leichter gefallen, die Analgetika-Dosierung zu reduzieren. Der Antragsteller habe auch interessierter und teilnahmefähiger gewirkt. Aufgrund der geringen Nebenwirkungen von Cannabinoiden halte er einen Behandlungsversuch über eine längere Zeit für indiziert, zumal andere Therapieoptionen praktisch nicht mehr bestünden. Ein Therapieversuch über eine längere Zeit mit Dronabinol sei sinnvoll und in begrenztem Maße auch aussichtsreich. Eine positive Einwirkung auf das Krankheitsbild sei im Bereich der Gewichtsentwicklung zu erwarten. Da eine deutlich appetitsteigernde Wirkung einsetze, sei die gewünschte und unbedingt erforderliche Gewichtszunahme zu erreichen. Auch könne der Schmerzmittelgebrauch leichter zu reduzieren sein. Kontraindikationen sehe er unter Anbetracht der schweren Grunderkrankung und der Aussichtslosigkeit sonstiger Behandlungsversuche nicht.
Der Facharzt H. hat unter dem 17. April 2019 ausgeführt, dass aufgrund der Darmerkrankung bei dem Antragsteller ein komplexes Schmerzsyndrom und ein großes Ernährungsproblem bestünden. Die Aufnahme der Nahrungsstoffe durch den Darm sei extrem eingeschränkt und behindert. Die Erkrankung könne nach seinen Erkenntnissen und Nachforschungen durchaus lebensbedrohliche Ausmaße erreichen. Jede Form der Schmerztherapie sei wegen der Darmerkrankung sehr problematisch und häufig auch mit starken Nebenwirkungen verbunden. Nach seiner Einschätzung stelle Drobabinol eine sehr gute schmerzlindernde Therapie dar, welche im Vergleich zu Morphinpräparaten weniger gastrointestinale Nebenwirkungen aufweise. Der Appetit werde gesteigert. Die Darmpassage werde weniger beschleunigt oder beeinflusst. Nach seinen Erkenntnissen und Durchsicht der Vorbefunde sei eine komplexe und sehr umfangreiche Therapie bereits mit allen üblichen Medikamenten durchgeführt worden. Die Erfolgsaussicht für die Behandlung mit Drobabinol sei bei dem Antragsteller gut, zumal bereits ein Behandlungsversuch durchgeführt worden sei, der eine erhebliche Linderung der Schmerzen ohne gastrointestinale Nebenwirkungen erreicht habe. Er halte bei dem Antragsteller aufgrund des seltenen Krankheitsbildes und der bereits durchgeführten Therapieversuche die Therapie mit Drobabinol für sinnvoll und medizinisch geboten. Die Nebenwirkungen seien offensichtlich gering und der Antragsteller zeige bei einem seltenen sehr bedrohlichen Krankheitsbild einen erfreulich guten Effekt. Als Neurologe und Psychiater habe er keine Bedenken bezüglich Missbrauch und Abhängigkeit. Es handele sich um eine wirtschaftliche, nebenwirkungsarme und sinnvolle Therapie für den Antragsteller. Es bestünden ausreichend Erfahrungen und Studienerkenntnisse zur Behandlung mit Cannabispräparaten in der Palliativmedizin. Auch bei Behandlung von gastrointestinalen Störungen seien seines Wissens nach ausreichend wissenschaftliche Studien durchgeführt worden, die alle eine sehr gute Wirksamkeit belegt hätten. Insbesondere bestünde Wirksamkeit bei chronischen Tumorschmerzen und chronisch gastrointestinalen Schmerzen. Dies sei auf den Antragsteller durchaus übertragbar. Die Berichte des Antragstellers, dass es aufgrund der Einnahme von Drobabinol zu einer deutlichen Reduktion der Schmerzen und kolikartigen Beschwerden im Abdomenbereich gekommen sei, halte er für einleuchtend und plausibel. Eine Kontraindikation sehe er bei dem Antragsteller nicht. Dr. E. hat unter dem 16. April 2019 unter anderem ausgeführt, dass ihr Kontraindikationen vorliegend nicht bekannt seien. PD Dr. C. hat unter dem 18. April 2019 ausgeführt, dass er aufgrund des Ausscheidens aus der Klinik keinen Zugriff mehr auf die Behandlungsunterlagen habe.
Der SMD hat in seiner Stellungnahme nach Aktenlage vom 22. Mai 2019 darauf hingewiesen, dass den ärztlichen Stellungnahmen Behandlungsoptionen zu entnehmen seien. Aus sozialmedizinischer Sicht bestehe weiterhin die Diagnose der artifiziellen Störung (F68.1). Aus den vorliegenden Befunden gehe zudem eine psychiatrische Mitbehandlung hervor. Der Antragsteller habe in deutlich psychisch labilisiertem Zustand von schlimmen Erfahrungen bis hin zur Zwangseinweisung berichtet. Einzelheiten zur psychiatrischen Behandlung lägen nicht vor. Aufgrund offensichtlich erheblicher psychiatrischer Störungen läge eine Kontraindikation für die Verordnung von Cannabinoiden vor.
Unter dem 3. Juni 2019 hat der Antragsteller vorgetragen, dass sich sein Zustand rapide verschlechtere. Insbesondere nehme sein Gewicht weiter ab. Durch die Opiatgabe seien die inneren Organe soweit angegriffen, dass es ständig nach Einnahme zu Übelkeit und Erbrechen komme. Er könne am normalen Leben nicht teilnehmen und vermeide Kontakt mit anderen Menschen. Eine Substitutionsbehandlung mit Methadon würde seinen Zustand weiter verschlechtern. Stationäre langfristige Maßnahmen seien kontraindiziert, weil er aufgrund der bisherigen Behandlungsmethoden Angst vor Kliniken und Krankenhäusern habe. Im Verhältnis zu den jetzt verordneten Medikamenten sei eine Cannabinoid-Behandlung das deutlich mildere Mittel mit erheblich weniger Nebenwirkungen und daher nicht kontraindiziert.
Mit Beschluss vom 4. Juni 2019 hat das Sozialgericht den Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz abgelehnt. Ein Anordnungsanspruch sei vorliegend nicht glaubhaft gemacht und könne nach der im Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden. Eine Genehmigungsfiktion gemäß § 13 Abs. 3a SGB V sei nicht eingetreten. Die beantragte Genehmigung sei auch nicht gemäß § 31 Abs. 6 Satz 1 und 2 SGB V zu erteilen. Zwar sei vorliegend von einer schwerwiegenden Erkrankung auszugehen. Es sei jedoch weder erkennbar, dass dem anerkannten medizinischen Standard entsprechende Leistungen (objektiv) nicht mehr verfügbar seien, noch dass zumindest nach begründeter vertragsärztlicher Einschätzung im Einzelfall unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes des Versicherten allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen nicht zur Anwendung kommen könnten. Im Vordergrund stünde ein massives Untergewicht, Schmerzen infolge einer Skoliose und einer Darmerkrankung sowie eine Opioidabhängigkeit, welche nebenwirkungsbedingt das Untergewicht weiter begünstige. Von Seiten der Ärzte werde jedoch eine stationäre Therapie als Standardbehandlung empfohlen. Auch sei der vom Facharzt H. angeführte, vorrangige Behandlungsversuch mit Amitryptilin und der eventuell zusätzlichen Gabe von Duloxetin nicht konsequent erfolgt. Soweit Dr. D. darauf verwiesen habe, dass der Antragsteller aus Gründen der Unverträglichkeit Amitryptilin selbsttätig abgesetzt habe, sei näheres nicht bekannt. Ein Versuch mit Duloxetin sei nicht aktenkundig. Vor diesem Hintergrund sei eine Behandlung mit Dronabinol nicht die einzig verfügbare Alternative zu den offensichtlich ungeeigneten Opiaten. In Bezug auf das massive Untergewicht habe Dr. D. deutlich gemacht, dass nach anerkannten medizinischen Maßstäben ab einem BMI von 17 eine stationäre Aufnahme zur Gewichtszunahme anzustreben sei. Unabhängig davon sei derzeit nicht geklärt, ob die beantragte Therapie eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome habe. Nicht ausreichend seien insoweit bloße subjektive positive Erfahrungen und eine hierauf gestützte ärztliche Empfehlung. Vielmehr bedürfe es eines Anhalts für allgemeine Wirksamkeitsindizien. Konkrete Erkenntnisgrundlagen würden in den eingeholten Befundberichten jedoch nicht benannt. Lediglich der Facharzt H. habe ausgeführt, dass Cannabis bei chronischen Tumorschmerzen und chronischen gastrointestinalen Schmerzen wirke. Tumorschmerzen lägen aber im Fall des Antragstellers nicht vor. Nach dem im Auftrag der Techniker Krankenkasse erstellten Cannabis-Report würden keine ausreichenden Indizien für eine Wirksamkeit von Cannabinoiden zur Behandlung von Darmerkrankungen gesehen werden. Ob und gegebenenfalls wegen welcher Indikationen eine Erfolgsaussicht im Sinne von § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 SGB V bestehen könnte, könne bei dieser Sachlage erst sinnvoll im Hauptsacheverfahren geklärt werden. Bei summarischer Prüfung überwiege somit derzeit die Wahrscheinlichkeit eines Unterliegens des Antragstellers in der Hauptsache. Es sei nicht ersichtlich, dass bis zur endgültigen Klärung der Hauptsache eine einstweilige Anordnung erforderlich wäre, zumal nach übereinstimmender Auffassung des SMD und der behandelnden Ärzte vorrangig eine (stationäre) multimodale Schmerztherapie zu etablieren wäre. Wegen des Untergewichts sei ebenfalls eine stationäre Aufnahme angezeigt. Einen Therapieversuch mit Dronabinol bezeichne auch Dr. D. nur als begrenzt aussichtsreich.
Der Antragsteller hat gegen den ihm am 5. Juni 2019 zugestellten Beschluss am 27. Juni 2019 vor dem Hessischen Landessozialgericht Beschwerde eingelegt und zur Begründung vorgebracht, dass seine Schmerzzustände mittlerweile unerträglich geworden seien. Eine stationäre Schmerztherapie könne nicht erfolgreich sein, da mit dieser nur versucht werde, die Opiat-Behandlung zu lindern, ohne eine Alternativbehandlung an deren Stelle zu setzen. Die Behandlung mit Amitryptilin habe er nicht vertragen. Eine kurzfristige Therapie sei nötig, eine mittelfristig irgendwann durchzuführende stationäre Therapie sei hingegen nicht ausreichend. Zudem stelle eine stationäre Aufnahme zur Gewichtszunahme einen deutlich stärkeren Eingriff in den Zustand und das Persönlichkeitsrecht des Antragstellers dar als die Dronabinol-Behandlung. Die im Herbst 2018 privat finanzierte Dronabinol-Behandlung sei erfolgreich gewesen. Sie habe zu einer deutlichen Verbesserung seines Gesundheitszustandes geführt. Mit Schreiben vom 10. Juli 2019 hat er vorgetragen, dass sein Gewicht aktuell 44 kg betrage. Nach der Essenszunahme, welche aufgrund der Schmerzempfindlichkeit ohnehin nur in sehr geringem Umfang erfolge, erbreche er mehrfach täglich unkontrolliert. Aufgrund der über längere Zeit erfolgten Opiat-Einnahmen verfüge er auch nicht mehr über Zähne, die eine Nahrungsaufnahme ermöglichten. Stationäre Schmerztherapien seien bereits mehrfach erfolgt und nicht mehr erfolgversprechend.
Der Antragsteller beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Gießen vom 4. Juni 2019 aufzuheben und den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung vorläufig zu verpflichten, den Antragsteller mit Dronabinol zu versorgen und
ihm unter Beiordnung der B. & Partner Rechtsanwälte GmbH Prozesskostenhilfe zu gewähren.
Die Antragsgegnerin beantragt,
die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.
Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Antragsgegnerin, die Gegenstand der Entscheidung waren, Bezug genommen. II.
Die zulässige Beschwerde ist begründet.
Der Antragsteller hat einen Anspruch auf einstweilige Anordnung im tenorierten Umfang.
Hinsichtlich der Voraussetzungen einer einstweiligen Anordnung gemäß § 86b Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wird auf die Entscheidungsgründe im angegriffenen Beschluss verwiesen, § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG.
Bei summarischer Prüfung gelangt der Senat jedoch zur Überzeugung, dass bei offenen Erfolgsaussichten in der Hauptsache die erforderliche Folgenabwägung eine einstweilige Anordnung begründet.
Ob die Voraussetzungen gemäß § 31 Abs. 6 SGB V vorliegen, ist offen. Aufgrund der vorliegenden Unterlagen ist weder nachgewiesen, dass dem anerkannten medizinischen Standard entsprechende Leistungen (objektiv) nicht mehr verfügbar sind, noch dass zumindest nach begründeter vertragsärztlicher Einschätzung im Einzelfall unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes des Versicherten allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen nicht zur Anwendung kommen können. Allerdings lassen die Befundberichte der den Antragsteller behandelnden Ärzte und die darin aufgeführten bereits (erfolglos) durchgeführten Therapien vor dem Hintergrund der seltenen schweren Erkrankung des Antragstellers begründete Zweifel daran aufkommen, dass eine andere dem anerkannten medizinischen Standard entsprechende Therapie bei dem Antragsteller erfolgversprechend und zumutbar wäre oder aber wirkungslos bzw. unverträglich. Insoweit sind im Hauptsacheverfahren weitere Ermittlungen vorzunehmen. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens hat das Sozialgericht dementsprechend auch bereits mit Schreiben vom 4. Juni 2019 angekündigt. Die lediglich nach Aktenlage erstellten sozialmedizinischen Stellungnahmen des SMD sind hingegen wenig aussagekräftig. Für den Senat ist insoweit schon nicht erkennbar, welchen Unterlagen der SMD die Diagnose einer artifiziellen Störung (F68.1) entnimmt. Hierunter fällt das absichtliche Erzeugen oder Vortäuschen von körperlichen oder psychischen Symptomen oder Behinderungen. Die im Verfahren vorgelegten Befundberichte enthalten eine derartige Diagnose hinsichtlich des Antragstellers nicht. Dr. E. hat vielmehr unter dem 3. August 2018 ausgeführt, dass es bis zur Diagnose der isolierten Hypoganglionose des Colons viele Fehldiagnosen ärztlicherseits gegeben habe bis hin zur Anorexie. Insoweit habe ihr der Antragsteller in deutlich psychisch labilisiertem Zustand von „schlimmen Erfahrungen“ bis zur Zwangseinweisung berichtet. Im Übrigen beschreiben die behandelnden Fachärzte H. (18. Dezember 2018 und 17. April 2019), Dr. E. (16. April 2019) und Dr. D. (24. April 2019) einen eher unauffälligen psychiatrischen Befund bei depressiver Stimmung. Ergänzend wird darauf hingewiesen, dass auch die weiteren vom SMD aufgeführten Diagnosen - wie z.B. eine Angststörung und ein Anorexia nervosas – in den Befundberichten der den Antragsteller behandelnden Fachärzte keine Entsprechung finden. Damit ist entgegen der Auffassung des SMD eine Kontraindikation wegen einer psychiatrischen Erkrankung des Antragstellers, die von den behandelnden Fachärzten zudem nicht angenommen wird, nicht belegt. Aber selbst wenn eine Kontraindikation aufgrund einer psychiatrischen Erkrankung vorläge, müsste diese in Relation zu der schwerwiegenden akuten Erkrankung des Antragstellers insbesondere im Hinblick auf das lebensbedrohliche Untergewicht bewertet werden.
Eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome erscheint zudem durchaus wahrscheinlich. Insoweit ist vorliegend nicht vorrangig auf Einwirkungen auf die Darmerkrankung des Antragstellers abzustellen, sondern vielmehr auf das lebensbedrohliche Untergewicht. Diesem konnte selbst mit einer parenteralen bzw. Sondenernährung nicht erfolgreich entgegengewirkt werden, da es mehrfach zu septischen Zuständen bei dem Antragsteller gekommen ist (Befundbericht Dr. D. vom 22. Februar 2019). Der Facharzt H. hat überzeugend ausgeführt, dass Dronabinol eine gute schmerzlindernde Therapie darstelle, welche im Vergleich zu Morphinpräparaten weniger gastrointestinale Nebenwirkungen aufweise. Auch werde hierdurch der Appetit gesteigert. Zudem hat er auf ausreichende Erfahrungen und Studienerkenntnisse zur Behandlung mit Cannabispräparaten in der Palliativmedizin hingewiesen. Zudem seien seines Wissens nach bei Behandlung von gastrointestinalen Störungen ausreichend wissenschaftliche Studien durchgeführt worden, die alle eine sehr gute Wirksamkeit belegt hätten. Insbesondere bestünde Wirksamkeit bei chronischen Tumorschmerzen und chronisch gastrointestinalen Schmerzen. Dies sei auf den Antragsteller durchaus übertragbar. Die Berichte des Antragstellers, dass es aufgrund der Einnahme von Dronabinol zu einer deutlichen Reduktion der Schmerzen und kolikartigen Beschwerden im Abdomenbereich gekommen sei, halte er für einleuchtend und plausibel. Auch Dr. D. erwartet eine positive Einwirkung der Dronabinol-Behandlung auf die Gewichtsentwicklung.
Bei der erforderlichen Interessenabwägung ist aufgrund des sehr massiven und offensichtlich fortschreitenden Untergewichts des Antragstellers (aktuell 44 kg bei einer Größe von 180 cm - BMI 13,6) im Hinblick auf die von Art. 2 Abs. 2 Grundgesetz (GG) geschützten Rechtsgüter ein deutliches Überwiegen der Interessen des Antragstellers gegenüber den eher geringen wirtschaftlichen Interessen der Antragsgegnerin festzustellen. Das Ergebnis der Güterabwägung spricht daher für eine Verpflichtung der Antragsgegnerin, den Antragsteller im tenorierten Umfang mit Dronabinol zu versorgen. Das grundgesetzlich besonders geschützte Gut des Antragstellers auf körperliche Unversehrtheit und der Anspruch auf Krankenbehandlung zur Linderung von Leiden genießen hierbei Vorrang, weil die Vorenthaltung der Dronabinolversorgung im Fall eines positiven Ausgangs der Hauptsache zur Folge hätte, dass die Symptomlinderung sowie insbesondere eine Gewichtszunahme und damit ein besserer Gesundheitszustand des Antragstellers über Monate nicht erfolgen würde. Dies könnte auch nicht nachgeholt werden. Der Antragsteller ist aufgrund seiner glaubhaft dargelegten wirtschaftlichen Verhältnisse auch nicht in der Lage, zunächst die Dronabinoltherapie auf eigene Kosten zu finanzieren. Insofern war auch zu berücksichtigen, dass die bisher auf Privatrezept durchgeführte Behandlung mit Dronabinol bei dem Antragsteller nach dessen Angaben und den Befundberichten des behandelnden Arztes eine Linderung der Leiden bewirkt hat. So sei es aufgrund der Einnahme von Dronabinol zu einer deutlichen Reduktion der Schmerzen und kolikartigen Beschwerden im Adomenbereich gekommen. Ferner habe die Therapie zu einer Gewichtszunahme und Appetitsteigerung geführt. Demgegenüber hat das monetäre Interesse der Antragsgegnerin bzw. der Versichertengemeinschaft, keine Leistungen erbringen zu müssen, auf die möglicherweise kein Anspruch bestehe, zurückzutreten, denn ungeachtet des streitigen Anspruchs wäre die Antragsgegnerin ohnehin verpflichtet, die Aufwendungen einer anderweitigen, kostenintensiven Alternativbehandlung mit Schmerzmitteln zu übernehmen (vgl. Bayerisches LSG, Beschluss vom 25. Juni 2018, L 4 KR 119/18 B ER, juris Rn. 62 und Beschluss vom 7. August 2018, L 20 KR 215/18 B ER, juris, Rn. 39 f.). Da auch die behandelnden Ärzte einen Behandlungsversuch über eine längere Zeit für sinnvoll und in begrenztem Maße auch aussichtsreich erachteten und davon auszugehen, dass erst im Zuge eines solchen Behandlungsversuchs die Wirkung beurteilt werden könne, erscheint eine Versorgung zunächst für die Dauer von einem Jahr, maximal bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, für angemessen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist begründet, da der Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. §§ 114, 115 ZPO).
Dieser Beschluss ist gemäß § 177 SGG unanfechtbar..